Aus der Sicht der internationalen Presse

 Zwei Supermächte, apokalyptische Atomdrohung, kontrollierte Eskalation, dann Einigung der Großen und Ruhe allerorten – so soll es sein. Findet die russische Regierung.

Man darf die Waffenruhe in Syrien nicht so missverstehen, dass von nun an die Waffen ruhen. Mancherorts gehen die Kämpfe weiter, nördlich von Aleppo, im Westen bei Latakia und im Süden. Und die Vereinbarung der USA und Russlands? Sie bedeutet vor allem, dass die ganz große Offensive der Regimemilizen und der russischen Bomber vorerst gestoppt ist. Das ist für die Opposition und viele Syrer ein kleiner Fortschritt. Deshalb verlassen sie nun ihre Luftschutzkeller, blinzeln in die Sonne und gehen auf die Suche nach Lebensmitteln. Wenn denn ihre Stadt von Hilfslieferungen erreicht wird.

Warum aber hat der russische Präsident Putin einer Offensive seines Schützlings Baschar al-Assad den Weg freigebombt, wenn er nun auf halber Strecke haltmacht?

Baschar al-Assad hat lokale Ziele, Putin hat globale. Der russische Präsident hat in Syrien nicht eingegriffen, um ein paar zerschossene Vororte von Aleppo zurückzuerobern. Er möchte ausgehend vom syrischen Schlachtfeld eine neue Rang- und Hackordnung in der Welt errichten. 

Der unabhängige russische Außenpolitikexperte Alexander Golz meint, dass es für Putin in Syrien prächtig laufe. Genauso stelle sich der russische Präsident Weltpolitik vor. "Zuerst versuchen die Großmächte ihre Interessen durchzusetzen, indem sie Marionetten tanzen lassen, Moskau Assad, Washington die sogenannte gemäßigte Opposition", sagt Golz. Doch der Kampf ist nicht schnell zu entscheiden, dritte gefährliche Spieler tauchen auf wie der IS. Also setzen sich die Supermächte zusammen und einigen sich darüber, was mit dem Land geschehen soll. Im Großformat, versteht sich.

Dieses Prinzip kommt einem bekannt vor. Es war von 1947 bis 1990 die globale Ordnung. Auf der Sicherheitskonferenz in München Anfang Februar sagte Putins Premier Dmitri Medwedew: "Wir sind in einem Kalten Krieg." Manche westliche Teilnehmer hielten das für eine beunruhigende Warnung. Sie haben Medwedew missverstanden. Der Premier hatte nur den aus russischer Sicht wünschbaren Zustand klar benannt. Zwei Supermächte, apokalyptische Atomdrohung, kontrollierte Eskalation, dann Einigung der Großen und Ruhe allerorten – so soll es sein.

Diese Weltordnung hatte Wladimir Putin schon im vergangenen Herbst beschworen. Auf der UN-Vollversammlung erinnerte Putin an die Konferenz von Jalta 1945, auf der die drei Großmächte Sowjetunion, die USA und Großbritannien die europäische Nachkriegsordnung festlegten. Damals erklärte der sowjetische Führer Josef Stalin dem britischen Premier Winston Churchill seine Vorstellung von Polens neuen Grenzen mit drei Streichhölzern auf der Tischdecke, bevor er sich eine Zigarette anzündete. Für die Europäer ist Jalta Sinnbild für die Teilung und Unterwerfung des Kontinents unter die Supermächte. Für Putin ist es die gute alte Zeit. So verschieden ist der Blick auf die Geschichte.

Auf Syrien angewendet würde das Prinzip Jalta bedeuten, dass die USA und Russland mit der Waffenruhe und der Einhegung ihrer "Marionetten" testen, wie gut sie das jeweilige Terrain beherrschen. Nicht um Syrien selbst zu besetzen, sondern um die vielen kleinen chaotischen Spieler zu kontrollieren. Gelingt das, kann der Nahe Osten in Einflusssphären aufgeteilt werden. Und genauso ließe sich die Sache in Osteuropa fortsetzen. Die EU und Deutschland würden dabei auf den Zuschauerrängen sitzen. Wenn sich Amerikaner und Russen nur einig wären. So einfach könnte die Welt sein.

Ärgerlich für Putin ist nur, dass Obama bei diesem großen Spiel nicht richtig mitmacht. Der amerikanische Präsident verweigert sich Gipfeltreffen nach dem Schwarzweißbild des Kalten Krieges. Als sich Putin und Obama auf der UN-Vollversammlung 2015 trafen, geschah dies in Hinterzimmern ohne Fanfarenstöße. Bei der persönlichen Abneigung der beiden Präsidenten ist ein glanzvolles Treffen im Zweierformat bis zum Ende von Obamas Amtszeit unwahrscheinlich.

Jalta 2 hat aber nicht nur Chancen als Folge einer amerikanisch-russischen Übereinkunft. In Osteuropa würden schon konsequentes amerikanisches Desinteresse und diplomatischer Rückzug reichen. Würde ein Nachfolger von Barack Obama auf ein solches Schema eingehen? Hillary Clinton wohl kaum. Aber bei Donald Trump wissen wir es nicht.

Quelle: BBC / How President Putin is getting what he wants in Syria

Frá Maurice de Plainval

Ritter des Tempels

04.03.2016 | 290438 Aufrufe

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