Russlands Regierung versucht derzeit offensichtlich die Zerschlagung der landesgrößten Menschenrechtsorganisation Memorial. Der Oberste Gerichtshof in Moskau teilte in einer knappen Ankündigung auf seiner Internetseite mit, er werde den Fall am 13. November behandeln. Dies wurde heute vom Memorial-Direktor Alexander Tscherkassow bestätigt. Laut Tscherkassow zweifelt das Justizministerium die Rechtmäßigkeit der Organisationsstruktur von Memorial an. Dies ist jedoch ebenso "absurd" wie alle anderen Vorwürfe gegen die Gruppe.

Memorial hat sich in der Vergangenheit um die Dokumentation der Verbrechen aus der Stalin-Zeit verdient gemacht und positioniert sich regelmäßig zu Menschenrechtsfragen der Jetztzeit, steht jedoch unter wachsendem staatlichen Druck seitens der Putin-Administration. Im Mai wurde die Nichtregierungsorganisation von der russischen Justiz dazu verpflichtet, sich ins Register "ausländischer Agenten" eintragen zu lassen, weil sie finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalte und politische Ziele verfolge.

Memorial macht zwar keinen Hehl daraus, sich mithilfe ausländischer Unterstützer zu finanzieren, weist den Vorwurf einer politischen Steuerung aus dem Ausland aber zurück. Keiner der Finanziers hat "jemals von uns verlangt, seinen Anweisungen zu folgen", sagte Alexander Tscherkassow damals nach dem umstrittenen Beschluss. Memorial handelt stets nach eigenen Vorstellungen – dies jedoch betrachtet die Regierung als besonders gefährliche Untergrundaktionen, weil die russischen Aktivisten nicht völlig überwach- und somit kontrollierbar seien. Nach Darstellung der Justiz beeinflusst die NGO gezielt die öffentliche Meinung und wichtige Entscheidungsträger. Die Bezeichnung als "ausländischer Agent" wiederum ist im russischen Sprachgebrauch historisch stark belastet: Unter Sowjet-Diktator Josef Stalin wurden damit tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle gebrandmarkt, die später hingerichtet oder ins Gulag geschickt wurden. In den 70er und 80er Jahren diffamierten die sowjetischen Behörden auf diese Weise Dissidenten, denen sie vorwarfen, im Auftrag westlicher Auftraggeber zu handeln. In diese Handlungsweisen fällt die Putin-Administration zurück. Auch gegen den Orden der Tempelherren versuchte man sich in solch erbärmlichen Ränkespielen, vermied es jedoch tunlichst sich der Schmach einer öffentlich zu bekennenden Niederlage auszusetzen.

11.10.2014 | 40955 Aufrufe