Die Welt braucht ein Amerika, das die Monster jagt

 Wenn der US-Kongress über den Syrien-Einsatz abstimmt, dann geht es nicht nur um ein Land im Nahen Osten. Vielmehr wird da entschieden, welche außenpolitische Rolle Amerika künftig spielen will. 

"Amerika geht nicht ins Ausland auf der Suche nach Monstern, die es zu zerstören gilt", hat John Quincy Adams, langjähriger US-Diplomat in Europa und sechster Präsident der USA, seinen Landsleuten 1821 ins Stammbuch geschrieben. Ähnliche außenpolitische Zurückhaltung hatten zuvor die Gründerväter Thomas Jefferson und George Washington der jungen Republik empfohlen.

In seiner Abschiedsbotschaft als Präsident gab Washington 1796 die Losung aus, sein Land solle so wenig wie möglich politische Kontakte zu fremden Nationen pflegen. Jefferson brachte diese Philosophie 1801 in seiner Antrittsrede auf die griffige Formel: "Frieden, Handel und ehrliche Freundschaft mit allen Nationen, verfängliche Allianzen mit keiner".

Die historische DNA der USA ist isolationistisch. Und jene Sehnsucht, sich heraushalten zu können aus den Händeln der Welt, feiert gerade ein Comeback. Geschützt von zwei Ozeanen und einer riesigen Landmasse haben die USA im 19. Jahrhundert versucht, sich auch aus den Kämpfen der Welt, insbesondere des stets streitsüchtigen Europa, herauszuhalten.

Erst hartnäckige deutsche U-Boot-Angriffe auf amerikanische Schiffe führten dazu, dass die USA in den Ersten Weltkrieg eintraten – um sich gleich darauf wieder abzuwenden. Nicht einmal die Mitgliedschaft im Völkerbund – Vorläufer der UN – war mit dem US-Kongress in der Zwischenkriegszeit zu machen.

Erst der Überraschungsangriff der Japaner auf Pearl Harbour 1941 beendete mehr als anderthalb Jahrhunderte des Isolationismus'. Seitdem gestaltet Amerika als eine der führenden Ordnungsmächte und - seit dem Ende der Sowjetunion - als alleinige Supermacht maßgeblich globale Politik.

Eine Phase, die nun schneller zu Ende gehen könnte, als die meisten Experten für möglich gehalten haben. Wenn der US-Kongress in dieser Woche über einen Syrien-Einsatz entscheidet, dann stimmt er nicht nur über ein mittelgroßes Land im Nahen Osten ab.

Es ist gleichzeitig eine Richtungsentscheidung, welche Rolle Amerika in der Welt in Zukunft spielen will. Sieht es sich in der Pflicht, die entscheidende militärische Macht zur Aufrechterhaltung einer globalen Ordnung zu bleiben? Oder ziehen sich die USA aus dieser ungeliebten Aufgabe allmählich zurück und begnügen sich damit, eine Nation unter vielen zu sein?

In der Syrien-Krise zeigt sich, dass die Hoffnung trog, die UN könnten zum Wahrer internationaler Normen werden. Wenn die globale Ordnung nicht von der militärischen Macht Amerikas gesichert wird, dann sind selbst Tabus wie das des Einsatzes von Chemiewaffen nicht aufrechtzuerhalten.

Und wenn die Bereitschaft Amerikas zur Durchsetzung solcher Standards erlahmt, kann jeder Diktator vom Schlage Assads tun, wie ihm beliebt. China und Russland jedenfalls sind ganz offenbar nicht daran interessiert, einen minimalen zivilisatorischen Standard in der Weltpolitik durchzusetzen. Wenn der Westen es nicht tut, dann wird dieser Ordnungsrahmen über kurz oder lang zerbröseln.

Und ähnlich wie nach dem Zerfall des Römischen Reiches werden die meisten Amerikakritiker erst verstehen, wie sehr die Welt von der Pax Americana profitierte, wenn es sie eines Tages nicht mehr gibt. Natürlich, diese Weltordnung ist alles andere als perfekt. Die USA sind auch kein altruistischer Akteur, sondern einer, der in erster Linie seine eigenen Interessen verfolgt. Und dennoch ist diese Pax Americana die liberalste Weltordnung, die es jemals gab und ihre Existenz nützt der überwiegenden Zahl der Staaten – einschließlich Russland und China.

 Die Amerikaner wären ihrer Rolle nicht so überdrüssig, wenn sie das Gefühl hätten, dass ihre Verbündeten ebenfalls einen Teil der ordnungspolitischen Last schultern würden. Aber Europa, seit Jahrzehnten sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer, ist nur noch bedingt abwehrbereit, fährt seine Verteidigungsausgaben seit Jahren drastisch zurück. Frankreich und Großbritannien waren die einzigen Nationen auf dem alten Kontinent, die noch globalen Gestaltungsehrgeiz aufbrachten.

 Aber nachdem das Parlament Premier David Cameron in der Syrienfrage die Gefolgschaft verweigerte, haben sich auch die Briten aus dem globalen Spiel genommen. Ganz zu schweigen von den Deutschen, die stets wohlfeile Worte anbieten, denen keine Taten folgen.

 Beim Gipfel in St. Petersburg hat die deutsche Kanzlerin es zunächst auch nicht für nötig befunden, in einer Resolution Solidarität mit US-Präsident Barack Obama zu üben, der größte Probleme hat, Volk und Abgeordnete daheim zu überzeugen, Assad für den Chemiewaffeneinsatz zu bestrafen.

Wer aber in solch einer Situation nicht einmal bereit ist, der einsamen, müden Supermacht politischen Beistand zu leisten, der hat den Ernst der Lage für die Welt und vor allem für den Westen offenbar nicht erkannt. Dabei hätte Europa mit am meisten zu verlieren, wenn Amerika sich von der Welt abwenden und den dysfunktionalen Nahen Osten sich selbst – und den europäischen Nachbarn – überlassen sollte.

 Assad ist eines jener vielen Monster der alten Welt, die zu jagen nach Auffassung von John Quincy Adams nicht Aufgabe der Vereinigten Staaten sein sollte. Das Problem ist: Wenn die USA dieses Monster nicht jagen oder mindestens in die Schranken weisen, dann wird es auch niemand sonst tun.

 Frá Sumedah Gupta

Ritter des Tempels

08.09.2013 | 3124 Aufrufe