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Sydney,Australien

Mormonen - eine amerikanische Sekte auf dem Weg zur Weltkirche?

Primitive Geister – korrupte Anfänge: Die Mormonen    © PCMTH 2007 Claude de Milly (Prior des Tempels)

 

Wenn die Anhänger des Propheten Mohammed im Anschluss an die‚ »jungfräuliche Empfängnis« des Koran gehofft hatten, dass künftige Offenbarungen damit hinfällig wären, hatten sie die Rechnung ohne den Stifter einer Bewegung gemacht, die sich selbst zur Religion erhob und heute weltweit die größten Zuwächse verzeichnet. Und sie sahen nicht voraus – wie sollten sie auch, einfache Säugetiere, die sie waren? –, dass sich der Prophet dieses lächerlichen Kultes den ihren zum Vorbild nehmen würde. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage – kurz Mormonen genannt – wurde von einem wirklich begnadeten Opportunisten begründet, der seinen Text zwar mit unverhohlen dem Christentum entliehenen Begriffen schmückte, jedoch verkündete: »Ich werde für diese Generationen ein neuer Mohammed sein. »Als Slogan wählte er Worte, die er dem Islam entlehnt zu haben glaubte: »Entweder der Al-Koran oder das Schwert. « Wie sollte er mit seiner mangelnden Bildung auch wissen, dass man beim Gebrauch des Wortes al keinen bestimmten Artikel mehr braucht? Doch immerhin glich dieser Trottel Mohammed darin, dass er recht geschickt aus anderer Leuten Bibeln Anleihen machte.

Im März 1826 verurteilte ein Gericht in Bainbridge, New York, einen einundzwanzig Jahre alten Mann, weil er eine »aufrührerische Person und ein Hochstapler sei«. Mehr hätte die Welt besser nicht von Josef Smith erfahren brauchen. Im Prozess räumte er ein, dass er Mitbürger im großen Stil betrogen habe, indem er waghalsige Goldgräberexpeditionen in den Westen der USA, zu nicht existierenden Claims organisierte, und dass er zudem öffentlich behauptet habe, dunkle »nekromantische« Kräfte zu besitzen. Vier Jahre später tauchte er aber bereits wieder in den Tageszeitungen auf – man kann es noch immer nachlesen (New York Herald, Gazzette of Maine, N.Y.Tribune; die Archive wurden gesichert, obwohl die Mormonen alles Erdenkliche unternahmen diesen Teil ihrer Geschichte zu vernichten) –, diesmal als Entdecker des »Buches Mormon«.

Er genoss in seiner Heimatregion zwei große Vorteile, die den meisten Scharlatanen abgehen. Erstens war er in der gleichen überfrommen Gegend der USA tätig, die auch die Shaker, den Endzeitverkünder Georg Miller sowie einige andere selbsternannte Propheten hervorgebracht hatte. Weil sie jeder neuen religiösen Modeerscheinung hemmungslos nachjagten, war die Region auch als »burned-over district« bekannt. Zweitens besaß das Gebiet, in dem Josef Smith agierte, anders als weite Teile des sich soeben erst öffnenden Nordamerika, Relikte einer eigenen Geschichte.

Eine untergegangene indianische Kultur hatte Grabhügel in großer Anzahl hinterlassen. Als man sie ziellos und amateurhaft entweihte, stellte man fest, dass sie nicht nur Knochen, sondern auch recht hoch entwickelte Gegenstände aus Stein, Kupfer, Gold und Silber enthielten. Acht solcher Hügel befanden sich unmittelbar bei der mickrigen Farm, welche Familie Smith ihr Heim nannte. Zwei besonders einfältige Gruppen zeigten da Interesse: Gold und Schatzsucher und eine Gruppe die den Ruheort eines der verlorenen Stämme Israels dort vermutete. Smith schloss sich beiden Gruppen an, verband also Habgier mit unausgegorener Anthropologie.

Wie der Schwindel dann ablief, liest sich nicht nur geradezu beschämend, sondern lässt sich genauso beschämend einfach rekonstruieren (sehr gut nachzulesen bei Dr. Fawn Brodie, die den gut gemeinten Versuch unternahm, diese „Ereignisse“ einer freundlichen Interpretation zu unterziehen). Joseph Smith gab mit stolzgeschwellter Brust öffentlich bekannt (New York Herald), er sei von einem Engel namens Moroni aufgesucht worden – wie gewöhnlich dreimal. Besagter Engel habe ihm von einem auf Messingplatten niedergeschriebenen Buch berichtet, das nicht nur die Herkunft der auf dem nordamerikanischen Kontinent lebenden Menschen (vergleiche heutige Behauptungen – Mittelamerika) erkläre, sondern auch die Evangelien bestätige. Die beiden Zaubersteine Urim und Tummim aus dem Alten Testament würden es Smith erlauben, das Buch ins Englische zu übersetzen. Nach langem innerem Kampf habe er am 21. September 1827, also achtzehn Monate nach seiner Verurteilung wegen Betruges, die Tafeln geborgen und sich sodann an die Übersetzung gemacht.

 Die so entstandenen »Bücher« waren Prophetenberichte, angefangen bei Nephi, Sohn des Levi, der um 600 v. Chr. aus Jerusalem geflohen und nach Amerika gekommen sei. Schlachten, Flüche und Leiden begleiteten sie und ihre zahlreichen Nachkommen auf den nun folgenden Wanderungen. Wie waren die Bücher entstanden? Smith weigerte sich, irgendjemandem die Goldplatten zu zeigen, denn wer immer sie, abgesehen von ihm selbst, zu Gesicht bekäme, sei dem Tod geweiht. Dabei stieß er aber auf ein Problem, das Islamkundigen vertraut sein dürfte. Wie vielfach bezeugt, war Smith zwar ein überaus zungenfertiger und gewandter Redner und Geschichtenerzähler, aber eben auch fast Analphabet, denn er konnte nur schlecht lesen und gar nicht schreiben. Deshalb brauchte er einen Schreiber, der sein erleuchtetes Diktat aufnehmen konnte. Das war zunächst seine Frau Emma und dann, als er noch weitere Hilfe benötigte, ein glückloser Nachbar namens Martin Harris. Nachdem dieser Smith die Worte Jesajas, Kapitel 29, 11-12 mit der wiederholten Aufforderung zum Lesen hatte sagen hören, verpfändete er seine Farm und zog bei den Smiths ein, um ihnen bei ihrer Aufgabe zu helfen. Harris saß hinter einer quer durch die Küche gespannten Decke, während Smith auf der anderen Seite mithilfe seiner Übersetzungssteine psalmodierte. Zur weiteren Entspannung der Situation wurde Harris gewarnt, wenn er versuche, einen Blick auf die Platten oder den Propheten zu werfen, werde er auf der Stelle tot umfallen. Mrs. Harris wollte von der ganzen Sache nichts wissen und war stocksauer auf ihren Mann. Sie stahl die ersten einhundertsechzig Seiten und forderte Smith auf, sie noch einmal zu diktieren, was er angesichts seiner Offenbarungskünste hätte können müssen – entschlossene Frauen wie diese tauchen in der Religionsgeschichte viel zu selten auf.

 Nach ein paar recht unangenehmen Wochen schlug der geniale Smith mit einer weiteren Offenbarung zurück. Er könne das Original nicht reproduzieren, denn es sei durchaus möglich, dass es sich bereits in den Händen des Teufels befinde und damit einer Interpretation nach Art der »satanischen Verse« Tür und Tor öffne. Doch der allwissende Herr hatte Smith mittlerweile mit einigen kleineren Platten versorgt, eben jenen Platten des Nephi, die eine ähnliche Geschichte erzählten. Unter unendlichen Mühen wurde die Übersetzung wieder aufgenommen, wobei die Schreiber hinter der Decke gelegentlich wechselten. Als sie vollendet war, wurden alle Original-Messingplatten zurück in den Himmel gebracht, wo sie sich offenbar bis zum heutigen Tage befinden.

 Einige Mormonen behaupten, ähnlich wie die Muslime, ein Betrug sei völlig ausgeschlossen, denn ein armer, des Schreibens unkundiger Mann hätte einen so großen Schwindel nicht zuwege gebracht. Die Muslime haben zwei hilfreiche Argumente auf ihrer Seite: Wenn Mohammed je öffentlich des Betrugs und der Geisterbeschwörung angeklagt wurde, so liegt uns davon jedenfalls kein schriftliches Zeugnis vor. Zudem birgt das Arabische selbst für den, der die Sprache erlernt hat und flüssig spricht, Unschärfen. Wir wissen jedoch, dass der Koran zum größten Teil aus älteren Büchern und Geschichten besteht, und auch im Falle Smiths lässt sich einfach, wenn auch in langwieriger Kleinarbeit, nachweisen, dass fünfundzwanzigtausend Wörter aus dem Buche Mormon direkt dem Alten Testament entnommen wurden. Die meisten dieser Stellen kommen aus den Kapiteln des Jesaja, die auch in »Ethan Smiths« Buch „View of the Hebrews: The Tribes of Israel in America“ abgedruckt sind. Dieses damals sehr populäre Werk eines frömmelnden Verrückten, der behauptete, die amerikanischen Indianer stammten aus dem Nahen Osten, scheint den Josef Smith erst auf die Idee mit der Goldgräberei gebracht zu haben.

 Weitere zweitausend Wörter aus dem Buch Mormon sind dem Neuen Testament entliehen. Von den dreihundertfünfzig Namen kommen mehr als hundert direkt aus der Bibel, weitere hundert sind so ähnlich, dass man auch hier fast von Ideendiebstahl sprechen kann. Die restlichen von Smith verwendeten Namen findet man auf der Weltkarte von 1814 der Schulen des Staates New York. Es handelt sich um größere Städte oder bekannte Plätze aus allen Teilen der Welt. »Moroni« z.B. ist eine der Hauptstädte Madagaskars aus der Zeit als die Engländer und Franzosen die Urbevölkerung dieses Inselstaates gegeneinander hetzten.

 Der große Mark Twain bezeichnete das Buch Mormon übrigens als »gedrucktes Chloroform«, und das kann durchaus wörtlich genommen werden, denn die Schrift enthält sogar ein »Buch Ether«. Die Wortfolge »Es begab sich aber« kommt mindestens zweitausendmal vor, was zugegebenermaßen einen ziemlich einschläfernden Effekt hat. Jüngere Forschungen (nicht nur seitens der Templer) haben ergeben, dass auch jedes andere »Dokument« der Mormonen im besten Falle ein magerer Kompromiss und im schlimmsten eine erbärmliche Fälschung ist. Das musste auch Dr. Brodie anmerken, als sie 1973 ihr bemerkenswertes Buch in einer aktualisierten Ausgabe herausbrachte.

 Wie Mohammed erlaubte Smith sich göttliche Offenbarungen spontan und nicht selten zum eigenen Vorteil, vor allem dann, wenn er – wie Mohammed – ein minderjähriges Mädchen begehrte und zur Ehefrau nehmen wollte. Das Ende vom Lied war, dass er sich übernahm und einen gewaltsamen Tod fand, nachdem er die armen Menschen, die ihm anfangs gefolgt waren und unter großem – nicht nur psychischem – Druck sein Diktat aufgenommen hatten, fast alle exkommuniziert hatte. Trotzdem wirft diese Geschichte die mehr als spannende Frage auf, wie sich ein so offensichtlicher Betrug vor unseren Augen zu einer ernsthaften Religion auswachsen konnte.

 Viele Wissenschaftler aus den Reihen der Templer mussten für die naturwissenschaftliche Erklärung dieser Religion viel Kritik einstecken. Aber lassen wir mal das »Übernatürliche« beiseite, das können wir getrost streichen und trotzdem davon ausgehen, dass es immer Menschen gegeben hat, für die der »Glaube an den Glauben« für sich schon etwas Positives ist. Solche Phänomene lassen sich biologisch erklären. Kann es in primitiven Zeiten nicht so gewesen sein, dass die Menschen mit dem Glauben an Wunderheilungen ihre Moral stärkten und damit auch eine geringfügige, aber spürbar bessere Chance auf tatsächliche Heilung hatten? Sehen wir einmal von »Wundern« und anderem Unsinn ab, so bestreitet nicht einmal die moderne Medizin diesen Gedanken. Von der psychologischen Warte her scheint es möglich, dass es den Menschen besser geht, wenn sie an etwas glauben, als wenn sie an nichts glauben, so unwahr dieses Etwas auch sein mag.

 Vieles wird hier unter Anthropologen und anderen Wissenschaftlern weiter umstritten bleiben, doch was eigentlich jeden schon immer interessiert hat: Haben diese Sektenprediger und Propheten auch einen Glauben, oder glauben sie nur an den Glauben? Denken sie sich hin und wieder, dass man es ihnen ja fast zu einfach macht? Und rühren sie dann als Rechtfertigung an, dass (a) die armen Kreaturen noch schlimmer dran wären, wenn sie nicht auf mich hörten, oder dass es (b), falls es nicht viel nützt, auch nicht viel schaden kann? Sir James Frazer erklärte in seiner berühmten Studie über Religion und Magie, Der goldene Zweig, ein angehender Medizinmann tue gut daran, die Illusionen der unwissenden Gemeinde nicht zu teilen, denn wenn er die Magie allzu sehr beim Wort nehme, unterlaufe ihm leichter ein Fehler, der seiner Karriere ein Ende setzen könne. Bei Weitem besser sei es, Zyniker zu sein, seine Zauberformeln gut einzustudieren und sich einzureden, dass es am Ende allen besser gehe. Smith war insofern ein gefährlicher Zyniker, als er mit dem Hinweis auf seine »Offenbarungen« höchste Autorität für sich beanspruchte und zudem darauf pochte, dass ihm die Besitztümer seiner Gemeinde zustünden und er mit jeder verfügbaren Frau schlafen könne. Jeden Tag kommt so ein Guru oder Sektenführer zur Welt. Smith muss sich gewundert haben, wie leicht er einfältige Kreaturen wie Martin Harris dazu bringen konnte, ihm jedes Wort zu glauben, besonders dann, wenn sie gern einen kurzen Blick auf den verlockenden Goldschatz geworfen hätten. Doch gab es einen Moment, in dem er tatsächlich an seine Bestimmung glaubte? War er bereit, für den Beweis zu sterben? Anders ausgedrückt: War er die ganze Zeit ein Scharlatan, oder saß tief in seinem Innern ein echter Impuls? Die Beschäftigung mit den abrahamitischen Religionen hat mir gezeigt, dass sie nie ohne größere und kleinere Betrügereien auskommen werden, dass aber diese faszinierende Frage im Falle Smith den eindeutigen Schluss zulässt, dass er von Anbeginn seines Handelns vom Eigeninteresse und Eigennutz getrieben wurde.

In dem Gebiet um Palmyra, New York, lebten damals Dutzende halbgebildeter, skrupelloser, ehrgeiziger und fanatischer Männer wie Smith, doch nur einem gelang der große Durchbruch. Das hat wahrscheinlich zwei Gründe. Erstens verfügte Smith allen Berichten – auch denen seiner Gegner – zufolge über großen natürlichen Charme, Autorität und Redegewandtheit, die von Max Weber so bezeichnete »charismatische« Führungsqualität. Zweitens verlangte es damals viele Menschen nach Land und einem Neuanfang im Westen. Deshalb übte die Prophezeiung eines »Verheißenen Landes« durch einen neuen Führer – und erst recht durch eine neue heilige Schrift – unterschwellig eine große Anziehungskraft aus. Die Wanderbewegungen der Mormonen in Missouri, Illinois und Utah sowie die Massaker, die sie unterwegs erlitten und anrichteten, bekräftigten diese Vorstellung vom Märtyrertum und vom Exil, aber auch das Bild der »Heiden«, wie die Mormonen Nichtgläubige abschätzig bezeichneten. Es ist eine großartige historische Geschichte, die man – anders als ihren Ursprung aus vulgären Erfindungen – mit Respekt lesen kann. Zwei bleibende Makel jedoch haften ihr an. Der erste ist, dass die »Offenbarungen« so plump und offensichtlich erlogen waren und von Smith und später von seinen Nachfolgern so eigennützig improvisiert wurden. Der zweite ist der primitive und abstoßende Rassismus. Christliche Prediger verschiedenster Prägung rechtfertigten vor dem amerikanischen Bürgerkrieg und sogar noch danach die Sklaverei mit der Bibel: Von den drei Söhnen Noahs (Sem, Ham und Japhet) wurde Ham mit einem Fluch belegt und in die Sklaverei getrieben. Doch Joseph Smith führte die scheußliche Mär noch weiter und wettert in seinem »Buch Abraham« (eine plumpe aber auch sehr witzige Fälschung), die dunklen Rassen Ägyptens hätten diesen Fluch geerbt. Darüber hinaus erfand er die Schlacht von »Cumora«, einem Ort, der praktischerweise in der Nähe seines Geburtsorts lag. Dort hätten die als hellhäutig und gut aussehend beschriebenen »Nephiten« gegen die »Lamaniten« gekämpft, die Gott für ihre Abkehr mit dunkler Hautfarbe bestraft habe. Als sich der Streit über die amerikanische Sklaverei zuspitzte, predigten Smith und seine noch dubioseren Schüler vor Kriegsausbruch in Missouri gegen die Abolitionisten. Feierlich erklärten sie, in der letzten himmlischen Schlacht zwischen Gott und Luzifer habe es noch eine dritte Gruppe gegeben, die versucht habe neutral zu bleiben. Doch nach Luzifers Niederlage habe sie in die Welt zurückkehren und die verfluchte Abstammungslinie von Kanaan weiterführen müssen; dies sei »die afrikanische Rasse«. Als Dr. Brodie ihr Buch schrieb, war es in der Mormonenkirche noch keinem schwarzen Amerikaner gestattet, auch nur die bescheidene Position eines Diakons zu bekleiden, geschweige denn Priester zu werden. Auch an den geheimen Tempelriten durften die Abkömmlinge des Ham nicht teilnehmen. Ein schlüssiger Beweis dafür, dass diese Religion vom Menschen gemacht wurde, findet sich in der Art, wie die mormonische Kirchenführung dieses Problem löste. Angesichts der klaren Worte in einem ihrer heiligen Bücher und konfrontiert mit der zunehmenden Verachtung und Isolation, in die es sie manövriert hatte, reagierten sie ähnlich wie zuvor, als ihr Hang zur Polygamie beinahe die Vergeltung der US-Regierung über Gottes eigenes Land Utah gebracht hätte: Sie hatten eine weitere Offenbarung. Um das Jahr 1965 und die Verabschiedung des Bürgerrechtsgesetzes wurde göttlicherseits verkündet, dass Schwarze doch Menschen sind.

Eines sei den »Heiligen der Letzten Tage« zugestanden – diese dünkelhafte Bezeichnung wurde Smiths Originalnamen »Kirche Jesu Christi« im Jahr 1833 hinzugefügt –, nämlich dass sie eine der größten Schwierigkeiten offenbarter Religionen offensiv angingen: Was soll man mit denen anfangen, die vor der exklusiven Offenbarung geboren wurden oder die sterben, ohne an ihren Wundern teilhaben zu können? Die Christen lösten dieses Problem, indem sie Jesus nach seiner Kreuzigung in die Hölle hinabsteigen ließen, wo er die Toten gerettet oder bekehrt habe. In Dantes Inferno gibt es eine schöne Passage, in der Jesus die Geister groß er Menschen wie Aristoteles rettet, die vor seiner Ankunft vermutlich schon jahrhundertelang vor sich hin gebrutzelt hatten. In einer anderen, weniger ökumenisch angelegten Szene aus dem gleichen Buch wird dem Propheten Mohammed allerdings in widerlicher Detailfreude der Bauch aufgeschlitzt. Die Mormonen haben diese etwas veraltete Lösung durch eine sehr moderne Komponente optimiert: In einem großen Lager in Utah haben sie eine gigantische genealogische Datenbank angelegt, die sie mit den Namen aller Menschen füttern, deren Geburt, Heirat und Tod seit Beginn der schriftlichen Aufzeichnungen erfasst wurden. Das ist sehr nützlich, wenn man seinen Familienstammbaum erstellen will und nichts dagegen hat, dass seine Vorfahren dadurch Mormonen werden. Die Gemeinden in den Mormonentempeln erhalten jeweils eine bestimmte Anzahl Namen Verstorbener, die sie in einer speziellen Zeremonie durch Gebete in ihre Kirche aufnehmen. Diese nachträgliche Taufe der Toten erscheint auf den ersten Blick harmlos, doch das American Jewish Committee war überaus erzürnt, als es feststellen musste, dass die Mormonen die Unterlagen der nationalsozialistischen »Endlösung« erworben hatten und nun eifrig damit beschäftigt waren, die Angehörigen jener Gruppe zu taufen, die man wahrlich als »verlorenen Stamm« bezeichnen könnte: die ermordeten europäischen Juden. Ungeachtet ihrer rührenden Wirkungslosigkeit zeugte diese Übung von abartig schlechtem Geschmack. Ich fühle mit dem American Jewish Committee, finde aber trotzdem, dass man Mr. Smiths Anhängern gratulieren kann: Für ein Problem, das sich, seit der erste Mensch eine abrahamitische Religion erfand, einer Lösung entzogen hat, haben sie ein höchst einfaches technisches Patentrezept gefunden.

Literaturhinweise: Siehe: Das Buch Mormon, Mark Twain, Dr. Fawn Brodie, James Georg Frazer u. Edward Gibbon, University of Chicago u. New York – Religion Phänomenon.

 Frá Albert de Chevreuse

Komtur des Tempels


 - Zwar hat die menschliche Unvernunft nicht zugenommen. Ruinös angestiegen ist jedoch die Zahl der Unvernünftigen -


Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal bearbeitet, zuletzt von »andreas« (09.04.2012, 10:57)
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