Es ist in der islamischen Welt zu einer Lage gekommen, die von den Bürgern der betroffenen Länder lange herbeigesehnt und von den westlichen Staaten und den politischen Kontrahenten in dem arabischen Raum als nahezu undenkbar hinweggeleugnet oder als nahezu unmöglich verdrängt wurde. Aber der politische Freiheitsgedanken wurde in Tunesien durch die Selbstverbrennung eines einzigen Studenten gezündet und hat sich wie ein Lauffeuer über den Maghreb bis nach Syrien verbreitet. Während man in Kuwait mit Geschenken an das Volk, in Form von einer kostenfreien Versorgung mit Grundnahrungsmitteln, die Leute bei der Stange, also treu zur regierenden Familie, zu halten sucht, greifen solche Manöver im übrigen arabischen Raum nicht mehr. Jordanien steht zwar treu zum König, aber die Unzufriedenheit des Volkes mit der Regierung konnte nur durch eine komplette Auswechslung der Regierenden, zunächst besänftigt werden. Aber es will und kann offensichtlich nicht wirklich Ruhe und eine Rückkehr in den gewohnten arabischen Alltagstrott geben. Das Aufbegehren kommt entgegen jeglicher Erwartung und entgegen aller Prophezeiungen nicht aus dem religiösen Lager. Es ist der Freiheitstrieb der jungen Generationen, welche sich nicht um ihr Leben betrügen lassen wollen und nach Freiheit, Anerkennung und einem Leben in politischer und finanzieller Sicherheit rufen. Der bekannte Soziologe, Ökonom und Autor vielbeachteter Bücher und Aufsätze zur Demographie Professor Dr. Dr. Gunnar Heinsohn erklärte in einem teilweise heftig umstrittenen Buch, die durch überwiegend religiös-islamische Propaganda der letzten Jahrzehnte regelrecht herbeigezüchtete Kinderschwemme, welche sich jetzt in der großen Anzahl von perspektivlosen Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung („youth bulge“, 45-60% der Bevölkerung), denen Anerkennung und Bestätigung in jenen Gesellschaften verwehrt bleibt, zu einer ernsten Gefahr, welche in zunehmender Terrorbereitschaft zu Tage treten würde und nicht etwa Religion oder Armut. Zumindest hat er in dem Punkt recht behalten, dass genau dieser Überschuss an Jugendlichen, welche sich um ihr Leben betrogen fühlen, von dem massiven Wunsch nach Freiheit und einem menschenwürdigen Leben getragen, eine Welle der Unzufriedenheit auslösen, welche sich gegen die eigenen Systeme stellt und diese in Frage stellt. Niemand aber hatte diese Entschlossenheit, ja nicht einmal diese Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass so etwas wirklich in diesem Maße auftreten, ja ausbrechen könnte.
Ägypten galt als Hochburg westlicher Umhegung. Die Regierung galt als „sicher“, als Freund und wurde in Milliardenhöhe gestützt. Allein EU-Entwicklungshilfe in dreistellige Millionenhöhe direkt an die Regierung, zeigt die Bedeutung dieser Regierung für den Westen. Deshalb traf es gerade den Westen wie ein Schock, ein Schlag unter die Gürtellinie, welcher sich in der Schockhaltung der westlichen, insbesondere EU-Politiker deutlich machte. Wie reagieren auf ein Volk welches frei sein möchte, wenn doch die Regierung dieses Volkes der beste Freund des Westens sein sollte. Welches Entsetzen war den hilflosen Gesten der Politiker zu entnehmen, welche Panik vor eventuellen katastrophalen Auswirkungen. Sicher sprach man zunächst nur von Israel – aber die Gedanken waren doch mehr dem zu befürchtenden Ausmaß des Einflusses auf die eigene Wirtschaft gewidmet. Gerade Deutsche Investmentfonds haben mehrere Milliarden € in Ägypten investiert. Die deutsche Großindustrie hat in den letzten Jahren Milliarden in neue Produktionsanlagen gesteckt – nicht wenige Millionen, wie derzeit im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf die Börse, in der Presse verniedlichend versucht wird zu verbreiten. BMW und Mercedes haben neue Fertigungsanlagen gebaut, Thyssen und BASF neue Werke erstellt, RWE Milliardendeals für Gas- und Öl getätigt. Das sind keine Peanuts – das könnte die Stabilität der Wirtschaft schwer schädigen und die deutschen Steuerzahler mit sicher unzumutbaren Belastungen treffen. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen einer möglichen Sperrung des Suez-Kanals und dem damit verbundenen Unterbrechen einer geregelten Ölversorgung für ganz Westeuropa. Welche aufgebauschte Angstvorstellung eine von der Moslembruderschaft geführte Regierung auszulösen vermag, wurde schon in der Vergangenheit immer wieder regelrecht herbeibeschworen. Daher resultiert diese Unsicherheit der Politik, diese direkt kopfscheue Schweigsamkeit.
Aber Ägypten zeigt sich so anders als erwartet, ja wie selbst Heinsohn es prophezeite. Der Ruf nach Freiheit durch das Volk für das Volk wird getragen von einer tiefen Sehnsucht auch nach Frieden, welcher jetzt durch die jahrelangen Nutznießer der in Agonie liegenden Regierung bewusst untergraben und durch gezielte Provokation in ungezügelten Massenterror, ja Bürgerkrieg verwandelt werden soll, um das Militär zum Eingreifen und zur Niederschlagung zu zwingen. Aber die Militärführung hält sich bedeckt. Die alten Generäle, welche Nutznießer, Zeit- und Weggefährten des zu stürzenden Präsidenten waren, sehen sich in der schier unlösbar anmutenden Lage, einen Bürgerkrieg zu riskieren, in dem ihnen der größte Teil der jungen Generäle, Divisionskommandeure und Obristen den Gehorsam verweigern würde und sicher auch zumindest der wehrpflichtige Anteil der Soldaten fahnenflüchtig werden könnte. Auch müssen sie sich darüber im Klaren sein, dass die Militärhilfen des Westens für den Fall einer Fehlentscheidung sicher ausbleiben würden und somit ein völlig neues Bild militärischer Orientierung erforderlich werden könnte. Da wird der derzeitige vorsichtig-zurückhaltende Weg sicher der sein, der einem am Ende alle Möglichkeiten offen hält. Ägypten geht seinen Weg – und diesen Weg bestimmt diesmal das Volk allein. Ein Weg ohne religiöse, hasserfüllte Propagandisten und brennende Fahnen, sowie ohne eine Möglichkeit, diesen Weg noch zu stoppen. Es ist eine Bewegung der Jugend und der Verzweifelten, in der eine Moslembruderschaft mit einer bestenfalls zu erwartenden Unterstützung von 15 - 18 % der Bevölkerung rechnen könnte. Politisch bestimmend werden Andere sein, solche von denen sich die Menschen zumindest die Fähigkeit zum Herstellen einer Situation, welche als Ausgangspunkt für eine positive Entwicklung für alle dienen könnte, versprechen.
Dies mag den anderen Völkern in diesem Raum ein Vorbild sein und ein Ansporn. Zumindest ist es ein deutliches Zeichen, wie falsch die westlichen Einschätzungen zu diesen Völkern in der Vergangenheit waren und eine Warnung an die dortigen Regierungen, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten. Regierung bedeutet nicht Volk, dass sollten sich auch die Regierungen in Europa in der jetzigen Zeit verdeutlichen – diese könnten einen solchen Weg noch vor sich haben. Was in Tunesien begann, trifft den gesamten arabischen Raum und wird auch Syrien deutlich beeinflussen. Jedes dieser Länder wird einen Weg finden - einen Weg der dem jeweiligen Volk gerecht wird, denn in diesem Raum, politisch zusammengeredet, leben doch viele sehr unterschiedliche Völker, mit sehr unterschiedlichen Lebensvorstellungen.
Frá Angela de Montalbán
Komtur des Tempels
- Zwar hat die menschliche Unvernunft nicht zugenommen. Ruinös angestiegen ist jedoch die Zahl der Unvernünftigen -
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- admin -« (03.02.2011, 00:09)