Syrien – ein Land auf dem Weg zur Freiheit? © PCMTH 2011
Obwohl Syrien bereits zum Zeitpunkt der Kreuzzüge zu den wichtigsten Einflussgebieten des Tempels zählte, wollen wir historisch mit der Zeit beginnen, die zu den heutigen Ereignissen führte. Nach dem sich abzeichnenden Zusammenbruch des Osmanischen Reiches im Verlauf des ersten Weltkrieges, wurde Syrien 1916 zum französischen Einflussbereich erklärt und von französischen Truppen besetzt. Die Kontrolle durch das ferne Paris erfolgte von Anbeginn dieser weltgeschichtlich unschönen Passage nur nach dem Motto "Teile und Herrsche", durch das Ausspielen von unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen gegeneinander, vor allem durch die Bevorzugung der christlichen Maroniten. 1941 wurde Syrien von den Truppen der Alliierten besetzt. Obwohl Vertreter des „Freien Frankreich“ Syrien die Unabhängigkeit zugesichert hatten, forderte die Pariser Regierung bei ihrem Truppenrückzug nach Kriegsende einen Sonderstatus. Dies löste eine Erhebung gegen die Besatzungsmacht aus. Eine britische Intervention zwang Frankreich schließlich zum Rückzug. Im April 1946 wurde Syrien unabhängig. Nach dem verlorenen ersten Palästinakrieg waren die folgenden Jahrzehnte überschattet von Dauerkrisen, Aufständen, Putschen und einer überwiegenden ägyptischen Hegemonie, welche durch einen Putsch seitens des im Jahre 2000 verstorbenen Hafiz al-Assad, welcher sich zum Staatspräsidenten wählen ließ beendet wurde.
Auf den ersten Blick scheint Syrien, das über Jahrtausende hinweg Stätte des Aufeinanderprallens unterschiedlicher Kulturen war, eine überraschend homogene Bevölkerung aufzuweisen: Nahezu 90% der Einwohner sprechen Arabisch und sind Moslems. Neben den typischen Gebetsrufen, die fünfmal am Tag von den Lautsprechern der Minarette schallen, erinnert jeder Schritt durch die Altstädte des Landes daran, dass Syrien ein islamisch geprägtes Land ist. Doch hinter der klaren Sprache der Zahlen verbirgt sich eine Melange nationaler und vor allem religiöser Minderheiten, die zum Teil in uralten Traditionen verwurzelt sind.
Die Bevölkerung Syriens, das zu Beginn des französischen Mandats nicht einmal 1,3 Millionen Einwohner zählte, ist inzwischen auf über 20 Millionen angewachsen. Ähnlich wie in den Staaten Nordafrikas sind über 40% der Bevölkerung jünger als fünfzehn Jahre. Auch künftig ist mit einem rapiden Bevölkerungswachstum zu rechnen, obwohl Syrien bereits unter der extremen Überbevölkerung leidet. Damit waren seit langem, angesichts der begrenzten Möglichkeiten der Entwicklung, wirtschaftliche und soziale Folgeprobleme absehbar. Aber die propagierte Verdrängungsvermehrung, die jahrzehntelang von den islamischen Schulen gepredigt wurde, trifft erst in der deutlich weltoffeneren Jugend auf kritische Hinterfragung.
Die Syrer verstehen sich als Teil der arabischen Nation. Genau genommen aber setzen sich diese „ Araber“ aus einer sprachlich und kulturell völlig assimilierten Mischbevölkerung aus den Nachfahren der Einwanderer von der arabischen Halbinsel und verschiedenen alteingesessenen Völkern zusammen. Die traditionelle Lebensweise und Werte der islamischen Eroberer werden heute von den etwa 200.000 Beduinen repräsentiert, die noch immer durch das Land streifen. Sie haben den arabischen Gesellschaften ihren Stempel aufgedrückt, auch wenn sie in einer Zeit von Nationalstaaten, städtischer Kultur und technologischer Entwicklung eine Art Gegenpol bilden. Zu den Arabern zählen auch die derzeit fast 600.000 Palästinenser, die in der Umgebung von Damaskus und Homs leben.
Wie alle seine Nachbarstaaten, hat auch Syrien seine nationalen Minderheiten: Im Norden des Landes die unter Diskriminierung und auch Verfolgung leidenden Kurden, deren Heimat, Kurdistan, zwischen der Türkei, dem Irak, Iran, Armenien, Aserbaidschan und Syrien aufgeteilt ist; die Armenier, die hier bereits im 5. Jahrhundert eine eigene christliche Gemeinde etablierten; die Tscherkessen, die ursprünglich aus dem Kaukasus stammen und in der Zeit des Osmanischen Reiches als Wehrbauern angesiedelt wurden; die Türken und Turkmenen, die im westlichen Grenzgebiet leben, und die Assyrer, die sich im 6. Jahrhundert als unabhängige Kirche konstituierten. Zu den Minderheiten zählen schließlich auch die wenigen im Land verbliebenen Juden. Die meisten von ihnen leben in Damaskus und Aleppo in der Nähe der alten Christenviertel.
Die Beispiele der Armenier oder Assyrer verweisen bereits auf die religiöse Zersplitterung. Das gilt selbst für den moslemischen Teil der Bevölkerung. Rund 70% der Syrer zählen zur sunnitischen Mehrheitsströmung des Islam. Die Minderheitsströmung des Schiismus, eine Spaltung, die auf die Frühzeit des Islam zurückgeht, stellt 16% und zerfällt wiederum in verschiedene Strömungen.
Fast die Hälfte der Schiiten sind Alawiten. Ihr Kernland ist das sogenannte Alawitengebirge bei Al-Ladhiqiyah. Sie sind eine traditionell bäuerliche Gemeinschaft, die ärmer und weniger gebildet ist als der Durchschnitt der syrischen Bevölkerung. Unter dem alawitischen Staatschef Hafiz Al Assad wurden ihnen Schlüsselstellungen in der herrschenden Baathpartei, in der staatlichen Verwaltung und dem Militär eingeräumt.
Zu den schiitischen Minderheiten gehören auch die Drusen im Hauran und die Ismailiten, die sich in der Stadt Salamiyah konzentrieren. Ein entscheidender Anteil an der Verbreitung europäischer Gedanken und Ideologien kommt den syrischen Christen zu, die rund 9% der Bevölkerung stellen. Auch in den Palästinenser-Organisationen, die traditionell linken Dogmen folgen, ist der Anteil der Christen relativ hoch. Die Christen in Syrien sind ebenfalls in eine Vielzahl von Kirchen zersplittert, Spaltungen, die größtenteils auf theologische Kontroversen vom 3. - 5. Jahrhundert zurückgehen. In der Stadt Aleppo gibt es beispielsweise elf verschiedene christliche Gemeinschaften. Zwei Drittel der Christen folgen dem orthodoxen Ritus, der im Orient entstanden ist und gemäß der Überlieferung von den Aposteln Petrus und Paulus begründet wurde. Die Gebirgskette entlang der Küste war Rückzugsgebiet für religiöse Minderheiten. Dies gilt auch für die Maroniten im Libanon und die Alawiten Syriens, beides Gemeinschaften, die heute großen Einfluss auf die Politik ihrer Länder haben.
Die religiöse Zersplitterung bildet ein Kernproblem der politischen Verhältnisse: Obwohl die Sunniten die weitaus größte religiöse Gemeinschaft stellen, spielen sie an den Schaltstellen der Macht nur eine untergeordnete Rolle, während Minderheiten wie Drusen, Ismailiten und Christen neben den Alawiten überrepräsentiert sind - eine wesentliche Ursache für Spannungen in der Gesellschaft, die sich wiederholt in blutigen Auseinandersetzungen entluden. Zu einem Höhepunkt dieser Konflikte kam es im Jahre 1982, als ein Aufstand der sunnitisch-fundamentalistischen Moslem-Brüder in Hama von der Luftwaffe niedergeschlagen wurde.
In den libanesischen Bürgerkrieg griff Syrien mit wechselnden Frontstellungen ein, um eigene und iranische Interessen zu wahren. 1991 wurde mit dem Libanon ein Vertrag geschlossen, der Mitsprache bei allen wichtigen Entscheidungen garantierte. Die Handlungsfreiheit für seine Libanonpolitik sicherte sich Assad durch seine proamerikanische Haltung im Golfkrieg. Haupthindernis für ein Friedensabkommen mit Israel bildet nach wie vor die israelische Besetzung der Golan-Höhen. Das Regime riskierte leichtfertig soziale Unzufriedenheit der Mehrheit der Bevölkerung, weil die für Fortschritt und Entwicklung notwendigen Mittel in den ohnehin schon viel zu teuren Militär- und Sicherheitsapparat eingeflossen sind.
Es ist vor allem die wirtschaftliche und soziale Situation im eigenen Land, die den Machthabern seit Jahrzehnten Kopfzerbrechen bereitet. Das Gespenst sozialer Revolten stellt seit jeher eine ernstere Bedrohung dar als die zerschlagene politische Opposition. Der Gegensatz zwischen denjenigen, die Zugang zu Privilegien und Pfründen des Regimes haben, und der normalen Bevölkerung hat sich auch angesichts der Altersverteilung extrem verschärft. Syrien, seit 1970 vom "Assad-Clan" regiert, ist ein Polizeistaat, der einer der repressivsten in der Region des Nahen Ostens ist. Nach dem Tod von Hafis al-Assad und der Machtübernahme durch dessen Sohn Baschar im Jahr 2000, wurden zunächst Hoffnungen geweckt, dass der junge Präsident das Land modernisieren könnte. Dieser wurde in Großbritannien ausgebildet und heiratete auch dort. Jedoch wurde Baschar von dem seit Jahrzehnten in der Gesellschaft fest verankerten Sicherheitsapparat daran gehindert von ihm geplante Reformen auf den Weg zu bringen. Wenngleich er einige wirtschaftliche Reformen durchsetzen konnte, blieb Syrien ein Polizeistaat. Er setzte darauf mehr Zeit für Reformen zu haben, weil er mit seiner inzwischen antiamerikanischen Haltung und seinen Konfrontationskurs gegenüber Israel näher an der Grundstimmung in seinem Volk sei. Noch im Februar erklärte er in den Medien: „Syrien ist stabil!“ Damit verdeutlichte er seine völlige Fehleinschätzung der politischen Situation. Syrien steht noch eine schwere Zeit bevor.
Frá Angela de Montalbán
Komtur des Tempels
Teil 2 folgt!
- Zwar hat die menschliche Unvernunft nicht zugenommen. Ruinös angestiegen ist jedoch die Zahl der Unvernünftigen -