Verfolgt man die täglichen Presseberichte über den Krieg in Mali so findet man sich dort in einem Gewirr von Ungereimtheiten, Halbwahrheiten und gezielter Unterschlagung von Fakten, mit den Realitäten vor Ort aber scheint die westliche Welt insgesamt im Konflikt zu stehen.
Die Medien wagen sich tatsächlich in der Behauptung, die „Malier“ begrüßten den Eingriff der Franzosen und deren massive Luftschläge gegen die Provinzen im Norden. Doch solche Begeisterung mag man bestenfalls weit im Süden Malis finden. Glaubt tatsächlich jemand die Tuareg im Norden des Landes würden auch die Luftschläge auf ihre Städte und die Zerstörungskraft der anrollenden französischen Panzerkolonnen willkommen heißen und fröhlich jubelnd begrüßen? Über eine Viertelmillion sind in den Kriegsgebieten auf der Flucht, teils auf den Weg in den Süden Malis, in die größeren Städte wie Bamako, wo sie ein neues Hungerproletariat bilden werden, aber auch weit mehr als Hundertneunzigtausend sind in die benachbarten Staaten Algerien, Niger, Burkina Faso und Mauretanien geflüchtet. Der Westen behauptet diese Menschen fliehen vor den Islamisten – jedem hier vor Ort wird aber schnell klar werden, dass diese Menschen vor dem neuen Krieg fliehen, den die Franzosen ins Land tragen.
Es ist richtig, es gibt verschiedene Gruppierungen von Aufständischen in der gesamten Sahelzone zu der auch die mittleren und Nordprovinzen Mails gehören. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der säkularen Rebellengruppe „Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad“ (MNLA) für ein selbstbestimmtes Azawad wurden von Anbeginn durch systematische Unterwanderung und Aufsplitterung durch islamische Gruppierungen verschiedener Schulen missbraucht, um den Kampf zur Errichtung eines islamischen Gottesstaates mit konservativer Scharia-Ausrichtung zu forcieren. Sicher sind auch Tuareg (singular: Targi) und andere Ethnien Nordmalis wie Fulbe und Kunta islamischen Glaubens, wenn auch in unterschiedlich strenger Ausprägung, wobei z. b. aus kulturellen Gründen viele Tuareg eher einem soften Islam zuneigen und den Frauen eine bedeutende Rolle zugestanden wird. Trotzdem gibt es bei den verschiedenen Rebellengruppen viele Überschneidungen, Gruppen verbünden sich und überwerfen sich wieder. So ist der Führer der Gruppe Ansar Dine (Verteidiger des Islams) ein Targi namens Iyag Ag Ghaly, der schon bei den Tuareg-Aufständen in den 90er Jahren eine wichtige Rolle spielte. Doch gilt in Nordmali wie in anderen arabischen Ländern auch: Militanter Islamismus ist auch und vor allem der Ausdruck eines sozialen Gerechtigkeits- und Armutsproblems.
Gerade was die Empörung gegen die Forderung nach dem islamischen Recht im neuen Staat Azawad betrifft, kann dem Westen nur Heuchelei vorgeworfen werden. Unterstützt man nicht gerade in Syrien massiv jene Islamistengruppen im Kampf gegen Assad, die man in Nordmali bekämpft? Sind nicht bei den „Aufständischen“ in Syrien, die jubelnd im deutschen Fernsehen gezeigt werden, die gleichen schwarzen Salafisten-Fahnen zu sehen wie bei den islamischen Tuareg-Aufständischen in Nordmali? Dort gute Salafisten, weil gegen Assad? Hier schlechte Salafisten, weil gegen westlich ausgerichtete Zentralregierung in Bamako? Fand man es in Deutschland nicht auch völlig unbedenklich als in Libyen nach dem Einsatz der Nato plötzlich Islamisten das Sagen hatten? Obwohl Libyen doch nur ein paar Seemeilen von der zur EU gehörigen Insel Malta entfernt liegt?
Der Staat Mali besteht aus vielen verschiedenen Ethnien. Allerdings zieht sich eine scharfe Trennungslinie zwischen den sesshaft-bäuerlichen Stämmen des Südens und den Nomaden- bzw. Halbnomadenstämmen des Nordens in den Sahara- und den Übergangsgebieten von Sahara- zu den Sahelgebieten. Zwischen diesen sesshaften und den nomadischen Stämmen besteht aus historischen Gründen eine tiefgehende Feindschaft.
Um den Konflikt, der jetzt im Norden Malis ausgebrochen ist, wirklich zu verstehen, muss man etwas in die Geschichte zurückblicken. Als im 19. Jahrhundert Frankreich seine Kolonialgebiete immer weiter in den Süden Afrikas vorschob, leisteten die Tuareg lange und erbitterten Widerstand. Erst 1917 konnte ein Friedensvertrag geschlossen werden. Die Tuareg ziehen seit jeher nomadisierend durch Gebiete der Sahara und des Sahels, verstreut über die Staaten Mali, Algerien, Libyen, Niger und Burkina Faso. Grenzen existieren für sie faktisch nicht und alle Regierungen tolerierten bisher ihre nomadische und grenzüberschreitende Lebensweise. Mit dem Entstehen der nachkolonialen afrikanischen Staaten in den 60er Jahren wurde es für die Tuareg schwierig, da schwarze Bevölkerungsmehrheiten die Regierungen stellten und die Tuareg in Mali und Niger marginalisierten. Dies hatte mehrere Aufstände zur Folge, da sich die Situation der nomadischen Völker durch Dürrekatastrophen verschärfte. Hungersnöte und Massensterben wurden von den Regierungen Malis und Nigers schlichtweg ignoriert, die Aufständischen bekämpft, Weideland in Bauernland umgewandelt, die Tuareg nicht an den Einnahmen durch den Abbau von Uran und anderen Bodenschätzen beteiligt. 1996 kam es zu Friedensverhandlungen, Selbstverwaltung und Katastrophenvorsorge wurden vereinbart, in Mali konnten sich die Tuareg selbst dezentral in Kidal verwalten. Diese Zusage war aber mehr den Umständen geschuldet als der Einsicht der Zentralregierung in Bamako. Denn tatsächlich war der Norden Malis schon lange der Kontrolle Bamakos entglitten.
Wie schon bei Ausbruch des Libyenkrieges 2011 befürchtet, zogen sich viele Tuareg, die in der libyschen Armee gedient und treu zu Muammar Gaddafi gestanden hatten, nach seiner Ermordung unter Mitnahme ihrer Waffen über den Niger in den Norden Malis zurück und destabilisierten das eh schon mehr als brüchige malische Staatswesen weiter. Am 6. April 2012 riefen die Tuareg-Rebellen im Norden Malis ihren eigenen Staat Azawad aus. Doch auch in Azawad wurde und wird zwischen verschiedenen Gruppen um die Macht gekämpft, zwischen Stämmen und verschiedenen mehr oder weniger religiösen Ausrichtungen. Da in den letzten Monaten aus ethnischen Arabergruppierungen bestehende islamistische Kräfte, die aus dem Norden (Algerien, Mauretanien), sowie Niger und Libyen einsickerten, die Übermacht erkämpften, diente dies unter Beifall der anderen westlichen Staaten zur Begründung Frankreichs für einen Krieg gegen Azawad.
Tatsache ist, dass die Tuareg de facto schon lange Jahre unter eigener Verwaltung in Nordmali leben, dass sich die Tuareg auch durch Schmuggel aller Art finanzieren und in Nordmali wohl schon lange eine abgeschwächte Art Scharia herrscht. Neu war nun die Ausrufung eines eigenen Staates. Dies hängt insbesondere auch mit der Frage zusammen, wer an den Bodenschätzen, die sich im Norden Malis befinden und deutlich viel größer sind als bisher offiziell von den Franzosen deklariert, verdienen wird. Gehen die Einnahmen an die Zentralregierung, die eng mit Frankreich verbunden ist, werden die Tuareg wohl wieder leer ausgehen, wie schon die Erfahrungen mit den Uranminen im Niger und andere Beispiele zeigen. Dies war auch der Grund, warum der Führer der Rebellengruppe Ansar Dine Anfang 2012 weitere Verhandlungen mit der Regierung in Bamako absagte.
An der Proklamation des neuen Staates Azawad zerbrach die schwarze malische Zentralregierung. Im März 2012 wurde der Präsident Malis durch einen Militärputsch zur Flucht gezwungen, dem die Putschisten vorwarfen, zu lax gegen die Sezessionsbestrebungen vorgegangen zu sein. Inzwischen wurde die Macht von den Putschisten an den malischen Parlamentspräsidenten Traoré für eine Übergangsperiode übergeben. Mit der Behauptung, die Rebellen, sprich Islamisten setzten sich in Richtung Hauptstadt Bamako in Bewegung, bat dieser nun um ein militärisches Eingreifen Frankreichs. Dass die Kämpfer für die Sezession der nördlichen Gebiete die weit im Süden gelegene Hauptstadt Malis einnehmen wollten, ist völlig absurd und muss als Vorwand für den Beginn des Krieges gegen Azawad gesehen werden. Alle involvierten islamischen Gruppen zusammen waren mit 621 Kämpfern in den Norden einmarschiert, hatten die wenigen Tuareg-Kämpfer schnell vertrieben und die kaum einhundert malischen Soldaten in die Flucht geschlagen.
Mali, ist eines der ärmsten Länder der Welt und gleichzeitig das afrikanische Musterland in Sachen Demokratie, dem Westen immer zu Diensten. Mali erfüllte alle Vorgaben von IWF und Weltbank, „die Hausaufgaben wurden gemacht“, der Staat zog sich nach europäischem Vorbild aus allem zurück, Bahn, Schulwesen, Krankenversorgung wurden privatisiert. Den für diese neoliberale Politik Verantwortlichen vorgeworfen werden, Mali zurück in die Armut, in die Verzweiflung getrieben zu haben. Die Folge der Privatisierung war, dass die Bahn eingestellt wurde, sie hat sich halt nicht gerechnet (obwohl viele Dörfer, die an der Strecke lagen, vom Bahnverkehr lebten), dass ein funktionierendes Schul- und Gesundheitswesen praktisch nicht mehr existent ist. Wie immer unter dem Einfluss der Franzosen hatten die ungeliebten Tuareg des Nordens am meisten unter dem Privatisierungsdiktat zu leiden, es kamen dort überhaupt keine Gelder mehr an.
Hier nun ein paar weitere Fakten zu Mali (Quelle CIA-Lagebericht Mali 2012): Die Arbeitslosigkeit liegt bei etwa 54%. Mehr als 60% der Bevölkerung hat seit der letzten Dürre keinen sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt unter 45 Jahren. Es gibt verbreitete Mangelernährung sowie gravierende Probleme bei der Hygiene. Tuberkulose (resistente Bakterien-Stämme) ist im Norden unter den Fulbe nach Jahrzehnten der Infektionsfreiheit wieder weit verbreitet. 74 Prozent aller Personen unter 15 Jahren sind Analphabeten. Die südlichen Provinzen leiden unter einem extremen Bevölkerungswachstum (Verdoppelung innerhalb von 8 Jahren), aber nur etwa vier Prozent Malis ist Ackerland. die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen liegt über 80 Prozent. Große Teile der Tuareg-Bevölkerung leben vom Drogenhandel und Schmuggel.
Bei diesen Fakten ist es doch klar, was das Land wirklich braucht: einen Krieg. Doch Mali ist nicht wirklich arm, nur der größte Teil der Menschen ist es! Es gibt in Mali Gold, Erdöl, Erdgas, Phosphat, Uran, Seltene Erden und andere Bodenschätze. Doch diesen Reichtum teilen sich andere. Die meisten Bodenschätze, die in den letzten 5 Jahren durch neutrale (chinesische und amerikanische) Unternehmen festgestellt sind, liegen im Tuareg-Rebellengebiet: Bei Kidal gibt es große Uranlager (welche bereits durch die Areva gesichert wurden), bei Gao und im Tal von Tilemsi immense Phosphatvorkommen (welche durch die französische Düngemittelindustrie bereits bilanziert werden), des Weiteren werden große Erdgas- und Erölvorkommen unter dem Sand der Sahara in den Gebieten der Tuareg vermutet (welche bereits durch Bohrungen der ELF gesichert werden). Frankreich hat also sehr vitale Interessen in Nordmali und beste Beziehungen zur Zentralregierung in Bamako. Man kann schon jetzt davon ausgehen, dass für den Fall eines nicht zu bezweifelnden Sieges die Bodenschätze schon unter den Siegern verteilt sind. Der jetzige kriegerische Alleingang Frankreichs will auch Frankreichs Ansprüche in seinen ehemaligen kolonialen Gebieten sichern, stehen doch die islamistischen Führer der Al-Kaida des Maghreb - harte antiwestliche Vertreter einer schiitisch beeinflussten Schule aus Afghanistan – ausgebildet vom CIA und militärisch optimiert durch iranische Kräfte in Pakistan – in direkten Verhandlungen mit chinesischen Unterhändlern – informierte Kreise sprechen hier von einer „Aktivierung“ nützlicher Kräfte durch die Chinesen.
Inzwischen zeigt sich auch die deutsche Politik öffentlich der Meinung, wenn Deutschland seiner internationalen Verantwortung auch künftig gerecht werden will, darf das nicht so verstanden werden, dass künftig nur andere Staaten militärische Aufgaben übernehmen. Nach Afghanistan soll Deutschland jetzt nicht nur am Hindukusch gegen das Böse und in der Türkei gegen Syrien (Patriot-Raketen-Abwehrsystem) verteidigt werden, sondern auch in Mali? Bisher wird den Franzosen nur logistische Unterstützung angeboten. Krieg in Mali? Gegen ein paar hundert islamische Wüstenkrieger? In Mali, einem der ärmsten Länder der Welt, das bisher nur durch Hungerkatastrophen von sich reden machte, muss Krieg geführt werden? Wo liegt denn Mali überhaupt? Auf diese Fragen wird von den Politikern sogleich die strategische Bedeutung von Mali betont: wie nahe es doch an Europa und wie gefährlich die Ausbreitung der Al Kaida im Maghreb für unsere westlichen Länder sei. Tatsächlich? Liegt da nicht noch die ganze Sahara zwischen Mali und Nordafrika? Sind da Libyen und Syrien nicht viel näher, wo man gerade die Islamisten an die Macht brachte oder bringt? Aber was bedeuten schon politische Skrupel oder moralische Bedenken bei Uran und seltenen Erden im Schätzwert von 3,7 Billionen Euro und 30 Milliarden Barrel Öl und Gas.
Liam de la Chevallerie
Ritter des Tempels
- Zwar hat die menschliche Unvernunft nicht zugenommen. Ruinös angestiegen ist jedoch die Zahl der Unvernünftigen -
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- admin -« (27.01.2013, 18:13)