Was die katholische von der evangelischen Theologie unterscheidet, ist die Orientierung nicht nur an den essentiellen Schriften, sondern darüberhinaus auch an der Tradition. Es gibt heute keinen katholischen Theologen, der noch der Meinung ist, man könnte das AT oder NT wie einen Steinbruch benutzen, um aus diesem jahrtausendealte Wahrheiten für eine aktuelle Interpretation ohne eine solche herausbrechen. Dogmatik ist - bei aller Betonung gewisser grundlegender, sinntragender Fundamente (Göttlichkeit und Auferstehung Jesu Christi z.B.) - die jeweils passende aktuelle Darlegung für das jeweilige Heute (Karl Rahner). An der Schwelle des 3. Jahrtausends ergibt sich angesichts der Wiederentdeckung der Mystik das Problem der notwendigen Reintegration von Realitäten, die bislang in der Kirchengeschichte einer Art Inquisition zum Opfer gefallen sind (vor allem z.B. Begriffe wie Reinkarnation oder Chakren). Eberhard Nestle, einer der auch heute noch maßgebenden Bibelwissenschaftlern, spricht von so genannten "Correctores", die alles das, was offiziell für die Kirche als rechtgläubig zu gelten hatte, entsprechend in den "Heiligen" Schriften zurecht "korrigierten". Diese Methodik läßt sich nunmehr für eine erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen des 3. Jahrtausends nicht mehr praktizieren. Um ein ganz spezielles Thema für das neue kosmische Zeitalter anzusprechen: Corrado Balducci, Chef der Vatikanischen Kongregation für die Evangelisierung der Völker (also eine Art Minister) und Mitglied der Kurie bringt in einem Interview mit dem Magazin 2000plus vor einigen Jahren seine weltweit Aufsehen erregende Überzeugung zum Ausdruck, daß wir außerhalb unseres kleinen Planeten mit weiteren Bewohnern in unserer und anderen Galaxien zu rechnen haben. Auch ein Padre Pio äußerte sich einst mit großer Deutlichkeit zu diesem Thema, die an Offenheit nichts zu wünschen übrig ließ.
An diesem Beispiel läßt sich erkennen, wie innerhalb der Kirche der spirituelle Hintergrund für die Beantwortung von Fragen, die nach mehreren tausend Jahren nicht mehr mit Hilfe archaischer Schriften erfolgen kann - die allenfalls noch eine Funktion als Orientierungspunkt für wesentliche Grundsätze haben -, sich zunehmend dem nähert, was vor einigen Jahren in Palo Alto (CA) vom Institut für Transpersonale Psychologie als neue wissenschaftliche Definition anerkannt wurde, nämlich die Berufung auf den Konsens von Leuten, die mit transpersonalen Fähigkeiten ausgestattet Dinge beschreiben können, die vom rein diskursiven Denken aus ohne Kategorialfehler nicht bewiesen werden können.
Als weiteres Beispiel mag auch die grundsätzliche Frage nach der Göttlichkeit Jesu dienen. Wenn dieser von spirituellen Großkalibern wie Daskalos, Padre Pio und sogar den höchsten Vertretern des Hinduismus wie Sri Yukteswar und Paramahansa Yogananda (dieser erlebte einst eine Manifestation von Jesus Christus in seinem Hotelzimmer in USA und beschreibt sein Erlebnis u.a. mit den Worten: "Aus seinen Augen strömte die Kraft, die Myriaden von Welten zusammenhält", Autobiographie eines Yogi) als Schöpfungslogos erkannt wird, dann können irgendwelche, möglicherweise in der Geschichte auch einer Verfälschung zum Opfer gefallene Schriften nicht herangezogen werden, um irgendetwas anderes beweisen zu wollen.
Eine vergleichbare Position haben in der Geschichte der katholischen Kirche oftmals Heilige eingenommen, die als enge Berater des Vatikans herangezogen wurden - schade, daß das nicht immer der Fall war...!
Es gibt also an der Schwelle zum 3. Jahrtausend eine immer deutlicher werdende "Einheit der Religionen" (siehe J. Figl, Prof. für Religionswissenschaft an der Uni Wien) je mehr man dabei in die Tiefe geht und von zeit- und kulturbedingten Unterschieden absieht. Interessant dabei ist die offensichtlich zu tage tretende Christozentrik (vgl. auch Teilhard de Chardin, nach dem Jesus Christus Alpha und Omega der Weltgeschichte darstellt), die dadurch eine kulminierende Korrektur auch für andere Religionen durchführt.
Aldebaran
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Aldebaran« (26.11.2010, 01:30)